Mit dem Eintritt in den Schulalltag macht das Kind einen enormen Entwicklungsschritt. Es löst sich allmählich aus der starken Umhüllung des Elternhauses und wendet sich zunehmend der Gruppe der Gleichaltrigen zu, die in diesem Alter eine immer wichtigere Rolle für seine soziale Entwicklung einnimmt. Das soziale Lernen innerhalb der Peergroup ermöglicht es den Kindern, zunehmend den Vorstellungen und Normen der sie umgebenden Erwachsenenwelt zu entwachsen und innerhalb der eigenen Generation neue Verbindlichkeiten zu entwickeln.

In den ersten Schuljahren und ganz besonders mit der um das neunte Lebensjahr einsetzenden Entwicklungsphase des Rubikon entstehen bei den Kindern neue Formen und Qualitäten in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Veränderungen, die in dieser Zeit eintreten, führen zu einer Umbildung der frühkindlichen Temperamentsfärbung hin zu einer stärkeren Manifestation von bestimmten Verhaltensweisen, Reaktionen und Emotionen, die bis in das Erwachsenenalter hinein weitestgehend bedeutsam bleiben.

Wenn das Kind sich in dieser Phase der Ich-Werdung befindet, erlebt es sich in seiner Einmaligkeit, als eine Persönlichkeit mit eigenen Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen.

Im Unterricht bewegen wir, mit welcher inneren Haltung wir dem Schulkind begegnen, um es in dieser Entwicklungsphase entwicklungsförderlich zu begleiten. Wenn die Waldorfpädagogik in der Grundschulzeit von der «geliebten Autorität» ausgeht, dann wird sie im besten Fall so aussehen, wie es Walther Riethmüller (2016) beschrieben hat: als eine Form der Begegnung und des Annehmens eines sich entwickelnden Ichs, das Raum erhält und gleichzeitig durch eine dialogisch gestaltete Entwicklung zwischen den Unterrichtenden, den Unterrichtsinhalten und den anderen Kindern begleitet wird. Der Begriff der geliebten Autorität ist also als eine Form der gegenseitigen Bildung, Begegnung und auch Loslösung gedacht, nicht als ein Top-Down-Verhältnis.